VALUE BASED HEALTH CARE

VALUE BASED HEALTH CARE

Der Wert der Gesundheit

Das Konzept Value Based Health Care eröffnet dem Gesundheitssystem neue Perspektiven: Es stellt den Patienten in den Mittelpunkt, setzt auf die Möglichkeiten der Digitalisierung und verbindet Prävention, Behandlung und Rekonvaleszenz von Krankheiten.

Hippocrates

Auf Hippokrates' Spuren - Heilkunde in der Antike

MEDIZINGESCHICHTE

Gesund sein und bleiben, das wollen alle. Die Medizin will Erkrankte heilen, heute wie vor 2000 Jahren. Geändert hat sich der Stellenwert der Patient:innen. Einblick in eine wechselhafte Kulturgeschichte.

Gesundheit! Santé! Das wünschen wir unseren Mitmenschen. Wenn sie niesen, wenn sie Geburtstag haben. Die Franzosen erheben ihr Glas auf die Gesundheit. Seit 1948, dem Gründungsjahr der Weltgesundheitsorganisation (WHO), existiert auch eine global gültige Definition: «Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.»

Dass das kostbare Gut Gesundheit nicht vom Schicksal vorbestimmt oder gar gottgegeben ist, wissen wir seit der Antike. Der Vater aller Mediziner, der Arzt Hippokrates (460–370 v. Chr.), fordert, dass jeder Mensch seine Gesundheit in die eigene Hand nehmen müsse. Was es dazu brauche, so ist überliefert, sei eine gesunde Lebensführung und Vorbeugung. Krankheiten sollten möglichst früh erkannt und medizinisch behandelt werden, um ihre Folgen im Keim zu ersticken. Er verordnete seinen Patient:innen «therapeia», worunter er freilich mehr verstand, als wir heute unter Therapie verstehen: «Therapeia» umfasst sowohl Heilung als auch die langfristige Nachversorgung nach der Gesundung. Hippokrates wollte wissen, wie nachhaltig positiv seine «therapeia» die Lebensqualität seiner Patient:innen beeinflusste. Er wollte aus Fehlern lernen.

SELBSTVERANTWORTUNG ALS POSTULAT

SELBSTVERANTWORTUNG ALS POSTULAT 

Arzt/Ärztin, Therapie und Patient:in sind ein Dreigestirn, bei dem jeder einen Teil zum Gelingen des Gesundungsprozesses beitragen muss. Der Arzt/die Ärztin, der/die die richtige Diagnose stellen muss, die Therapie, die anschlagen und der Patient/die Patientin, der/die bereit sein muss, Selbstverantwortung für den Heilungsprozess zu übernehmen. Hippokrates Appell an die Eigenverantwortung des Patienten/der Patientin postulieren auch andere Geistesgrössen der griechischen Antike. Der Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) war überzeugt davon, dass nur eine diszipliniert auf die Gesundheit achtende Gesellschaft funktionsfähig ist. Die Verantwortung für eine gesunde Lebensführung erlegte er aber nicht nur der Gesellschaft, sondern vor allem dem Individuum auf.

MEDIZIN ÜBERNIMMT DIE FÜHRUNG

MEDIZIN ÜBERNIMMT DIE FÜHRUNG

Eine dramatische Veränderung in der Wahrnehmung von Gesundheit bringt das 19. Jahrhundert. Industrielle Revolution und der Siegeszug der Naturwissenschaften ermöglichen der Medizin spektakuläre neue Behandlungen von Krankheiten. Erstere fördert mit der arbeitsteiligen Produktion den Fokus auf einzelne Bestandteile einer Herstellungskette, Letztere die Erfindung bahnbrechender Medikamente und medizinischer Techniken. Beides zusammen hat auch Konsequenzen auf die Behandlungsmethoden: Krankheiten werden nicht mehr im Sinne von Hippokrates in einem Gesamtkontext betrachtet, sondern isoliert behandelt. Die Medizin übernimmt die Verantwortung für den Patienten/die Patientin.

BLICK AUFS GANZE VERLOREN

BLICK AUFS GANZE VERLOREN

Die medizinische Versorgung hat gewaltige Fortschritte gemacht. Dennoch ist etwas im Dickicht von unzähligen Therapiemöglichkeiten verloren gegangen: der Blick auf das grosse Ganze eines Menschen, wie von Hippokrates gefordert. Ärzt:innen unterschiedlicher Disziplinen notieren jeweils die Krankengeschichte innerhalb ihres Bereiches. Zentrale Zusammenführungen dieser Informationen, die ein ganzheitliches Bild ergeben würden, fehlen. Die Folgen sind kostspielige Doppelspurigkeiten. Mediziner und Ökonomen zeigen heute mit moderner Technik einen Weg zurück in eine ganzheitliche Betrachtung von Prävention, Behandlung und Rekonvaleszenz – es ist so etwas wie Hippokrates 2.0.

Ab dem 20. Jahrhundert wird der Körper von Forschern in Einzelteile zerlegt: Organe, Extremitäten oder Psyche und dort finden auch die medizinischen Eingriffe statt. In Labors entwickelte, hochwirksame Medikamente wie Penizillin besiegen bakterielle Infektionen wie Cholera oder Pest. Seit der Jahrtausendwende wird die Medikamentierung spezifischer und individueller. Pharmaunternehmen sprechen heute von personifizierter Medizin. In der Orthopädie verhelfen künstliche Gelenke bei Erkrankungen wie Knie-, Schulter oder Hüftarthrose zu einem beschwerdefreien Leben. Hochwirksame Medikamente, minimalinvasiv optimierte operative Eingriffe, kurze Rekonvaleszenzzeiten: Die modernen medizinischen Leistungen, basierend auf Technologie und einem immensen Wissen in der Pharmaindustrie, bringen viele Vorteile für die Patienten.

Der Patient steht wieder im Mittelpunkt

Der Patient steht wieder im Mittelpunkt

GESUNDHEITSVERSORGUNG HEUTE

Ein wissenschaftlich ausgearbeitetes Konzept ermöglicht, die Behandlungsqualität im Gesundheitswesen für Patient:innen zu steigern und Kosten zu sparen.

Als der amerikanische Ökonom Michael Porter 2017 am Schweizer World Economic Forum (WEF) in Davos auftritt, ist «Value Based Health Care» (VBHC) ein weltweit etablierter Begriff, der für eine Restrukturierung im Gesundheitswesen steht. Porter wird erfreut gewesen sein, er selbst hatte mit seiner Forschungsarbeit in den 90er Jahren die Basis für VBHC gelegt. Der Wissenschaftler und Harvard-Professor beschäftigte sich mit der Wirtschaftlichkeit von Gesundheitssystemen und kam zum Schluss, dass diese zu teuer und ineffizient seien. Wie, so fragte er, kann ein hoher medizinischer Versorgungsstandard mit reduzierten Kosten kombiniert werden?

Redefining Health Care

Redefining Health Care

Porter untersuchte die ökonomischen Prozesse des amerikanischen Gesundheitssystems, analysierte dessen Schwächen und entwickelte daraus «Value Based Health Care». Das von ihm erarbeitete neue Modell funktioniert fundamental anders als die bestehenden. Denn im Mittelpunkt steht nicht mehr der Arzt, dessen Anweisungen, Erkenntnisse und Entscheidungen, sondern der Wert, den die Behandlung für Patient:innen bringt. Porters Buch zum Thema erschien 2006: «Redefining Health Care».

Die Kosten bestehender Gesundheitssysteme werden gewöhnlich damit begründet, Qualität habe ihren Preis. Porter verfolgt einen radikal anderen Ansatz: Ein Gesundheitssystem muss ein bestmögliches Resultat für die Patient:innen erzielen und das bei tiefen Kosten. Seine Forderung, den Patienten/die Patientin wieder ins Zentrum der Versorgung zu stellen, folgt ökonomischen Prinzipien. Seine Analyse: Es existiert ein Wettbewerb zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern und Ärzten und das Wohl der Patient:innen tritt dabei in den Hintergrund.

Wichtig im Gesamtprozess ist die Frage nach dem Wert der Behandlung, gemessen in der Währung der langfristigen Lebensqualität der Patient:innen. Diese soll anhand von Befragungen vor und nach einer Behandlung eruiert werden. Die Fragen lauten: Wie lebt es sich zwei Jahre nach dem Implantieren einer Ersatzhüfte? Wie schnell kann der Patient in den Arbeitsprozess zurück? Wie viele Nachbehandlungen waren nötig? Nur die konsequente Verfolgung des gesamten Patient:innenpfades ermöglicht die qualitative Analyse. Die Digitalisierung erleichtert dabei das Sammeln, Erfassen und Auswerten aller persönlicher Daten. Der Patient/die Patientin selbst wird vom passiven zum aktiven Part, wie bei Hippokrates gefordert, und muss Eigenverantwortung übernehmen.

REVOLUTIONÄRES KONZEPT

REVOLUTIONÄRES KONZEPT

Porters Idee wurde von Gesundheitsreformern aufgegriffen und weiterentwickelt, moderne Datenverarbeitungssysteme erleichtern die Analysen. «Value Based Health Care funktioniert», urteilt Gregory Katz am Jahreskongress des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT). Der Franzose ist Direktor des EIT Health Trends Report und arbeitet an der Veröffentlichung eines Berichts mit dem Titel «Implementing Value-Based Health Care in Europe: Handbook for Pioneers».

Das EIT ist ein EU-Organ, an dem Forscher interdisziplinär und länderübergreifend zusammenarbeiten. «Wir messen die Lebensqualität vor und nach einer Behandlung mit der Hilfe kalibrierter Instrumente, dies erfolgt anhand von Fragebögen», erklärt Katz.

Der Professor an der Pariser Universität postuliert eine ergebnisorientierte Medizin, die sich stark am Nutzen für die Patient:innen orientiert. Zentral sei, dass sämtliche Gesundheitsinstitutionen verzahnt Daten austauschen und dadurch präziser auf die spezifischen Bedürfnisse der Patient:innen eingehen können. Medizin soll an ihren Ergebnissen messbar werden.

Für Johnson & Johnson ist VBHC die Gesundheitsversorgung der Zukunft. Seit Jahren realisiert das Unternehmen zusammen mit anderen Gesundheitsinstitutionen wie klinischen Zentren konkrete Projekte zum Thema VBHC. Ziel ist es Patient:innen mit den Programmen für eine Werte basierte Gesundheitsversorgung eine bessere Behandlungsqualität zu bieten und die negative finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen zu bekämpfen.